23 novembre 2011

"We can have sex with cats, but we cannot change the system"

Slavoj Žižek benutzt gern Sex-Metaphern. Überhaupt ist seine Sprache plakativ und provokativ - das macht er ganz bewusst; nicht zuletzt deshalb ist der Kapitalismuskritiker so berühmt geworden. Wenn er über Neoliberalismus als Idelogie spricht, sind seine Ausführungen jedoch nicht nur äußerst spannend, sondern auch überzeugend.

Als Žižek nach der Anmoderation der unter dem Titel "Gedankensquash" laufenden Veranstaltung den Moderator fragt, was denn Gedankensquash eigentlich sein soll, kann dieser keine wirkliche Antwort geben. Das liegt vermutlich daran, dass der Titel völlig egal ist - wer schon mal was von Žižek gehört/gelesen hat, weiß ohnehin, worüber er reden wird. Und so geht es dann auch weniger um sein jüngst auf deutsch erschienenes Buch "Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert.", sondern vielmehr um seine Sicht auf den Kapitalismus, Neoliberalismus und die weltweite (Finanz-)Krise. 

Quelle
Žižek ist Philosoph, Psychoanalytiker und einer der Popstars unter den Kapitalismuskritikern. Er selbst bezeichnet sich als "altmodischen Marxisten", der sich fragt, welche marxistische Revolution heute vorstellbar sei, angesichts der Verbrechen, die im Namen des Marxismus begangen worden sind. Auffallend ist die ausgeprägte Mimik und Gestik, die er benutzt, wenn er spricht. Fast schon wirkt er ein wenig verhaltensgestört, wenn er sich ständig das Mikro (Headset) vom Kopf reißt, in seinen Bart fasst oder in seine Hände schnäuzt. Sein Sprachfehler kommt erschwerend hinzu. All das spielt aber nur am Rande eine Rolle. Am Anfang unterhält er sich mit dem Moderator auf Deutsch, der es während des gesamten Vortrages ziemlich schwer hat ("I only insulte good friends"), bevor er dann "in die Sprache des Imperialismus" wechselt, in der er sich erkennbar sicherer fühlt. 

Žižek am 22.11.2011 im Literaturhaus Frankfurt
Er beginnt seine Ausführungen mit folgender Feststellung: "the situation is catastrophic, but we don't take it seriously". Eng verbunden ist damit der Begriff des Warenfetischismus von Marx, heute sind die gesellschaften Praktiken jedoch noch schlimmer; Menschen würden etwas denken, aber anders handeln als sie denken  - oder auch so tun, als ob etwas wahr wäre, auch wenn sie wissen, dass es falsch ist. Dieses ständige Sich-in-die-Tasche-Lügen fängt klein an bei Begrüßungsritualen ("Nice to meet you" - obwohl man eigentlich gern die Straßenseite gewechselt hätte) bis hin zum kapitalistischen System. So ist der Neoliberalismus heute zur Ideologie geworden, scheinbar real existierend und entfaltet damit eine enorme Wirkungsmacht. Er durchdringe alle Lebensbereiche, drei kleine Beispiele seien hier genannt:
1. Bologna-Reform: Studierende als sich selbst vermarktende Einheiten, deren Leistungen durch überall vergleichbare Credit Points ausgedrückt werden; Bildung kein Selbstzweck.
2.  "outsource your sex life": romantisches Element geht verloren, "fall in love" wird zu "to be in love without the fall"
3.  Angekündigtes und wieder abgesagtes Referendum in Griechenland. Sofort setzt bei uns der Schock ein - wie können die Griechen nur ("this is a serious economic question, why will you ask the people?")
Heute kann man global Bewegungen beobachten, die gegen die neoliberale Logik protestieren. Ihnen wird vorgeworfen, sie wüssten nicht, was sie wollen. Žižek sieht das nicht als Problem, er kann jedoch das Herumdoktern innerhalb des "Systems", ohne das System selbst abzuschaffen, nicht nachvollziehen. Das liberal-demokratische System der Repräsentation sei nicht mehr in der Lage, bspw. den globalen Finanzsektor zu kontrollieren. Der globale Kapitalismus unterminiere die Demokratie.


Žižek zur Krise der Demokratie auf Youtube:


“In the long term [...] the capitalism did always engender a demand for freedom, democracy and so on. [...] This eternal marriage between democracy and capitalism is approaching divorce. [...] Capitalism functions perfectly without democracy.”
Es reiche also nicht, den Kapitalismus in einer neoliberalen Logik zu zähmen, sondern diese vielmehr selbst in Frage zu stellen. Denn: "the light of the end of the tunnel  is probably a train". TINA-Argumente ("there is no alternative") lehnt Žižek ab. Die Menschheit kann zum Mond fliegen, wird demnächst den Mars ansteuern, im privaten sei eben jener Sex mit Tieren vorstellbar, aber sobald nach einem besseren Gesundheitssystem gefragt wird, soll dies unmöglich sein. 

Žižek bietet keine einfache Lösung an, er will zunächst die richtigen Fragen stellen. Wer gleich Forderungen formuliert, trete selbst in das Raster normierter Institutionen ein. Hier kann man ihm den Vorwurf machen, es sich zu leicht zu machen, vielleicht widerspricht er sich hier auch selbst. Allerdings ist doch genau dieses kritische Hinterfragen vermeintlich objektivierter Tatsachen sowie der Logiken, nach denen die Welt und man selbst ganz persönlich funktioniert, der Grundstein aller Veränderungen. Und die richtigen Fragen zu stellen, ist mit Žižek höchst unterhaltsam. 

Zum Weiterlesen:
Žižek, S. (2011): "Welcome to interesting times!", in Powision, 6(1), S. 58-63.